Zeitbrief Nr. 53

 


Willkommen beim 53. my_time Zeitbrief - August 2004
____________________________________________________________
     Mails bitte an
zeitbrief@zeitbalance.de

» Inhalt

» Editorial
» Zeitnotizen und -gedanken
» Der 1. Satz
» Vergangenheit erschaffen
» Aristotelische Muße
» Vergänglichkeit
» Zeitgedicht
» Dichter zur Zeit
» my_time
____________________________________________________________

» Editorial

Raum und Zeit bilden nach Einstein ein Kontinuum. Im täglichen Leben
erfahren wir uns allerdings oft als Pendler zwischen mehr oder weniger
unverbundenen Zeit- und Rauminseln. Das Gefühl bekommt dabei
leicht einen getriebenen oder gar gehetzten Zug.

Eine gute Idee ist es, diese Inseln so miteinander zu verbinden, daß
sich ein sinnvoller Zusammenhang, ein Ganzes zeigt. Dafür bietet
sich das "Dazwischen" an, die Pausen und Übergänge, die beim
"Fährverkehr" zwischen den Stationen auftreten und mit einem
Quentchen Muße ein ganz anderes Zeitgefühl möglich machen.

Eine schöne Zeit bis zum nächsten -brief wünschen

Wolfgang Hamm, Anja und Hans D. Brandhoff
____________________________________________________________

» Zeitnotizen und -gedanken

'Bei den meisten Menschen ist die Ruhe nichts als Erstarrung
und die Bewegung nichts als Raserei. '
(Epikur)

'Nehmen Sie sich Zeit, die Zeit ist doch auch nur ein Strang, der
in den Raum hineinragt und mit Sprache gefüllt werden kann. '
(Elfriede Jelinek; mit Dank an Karin Krischanitz)
____________________________________________________________

» Der 1. Satz - Buchanfänge

'Willkommen.'
(Bill Bryson: Eine kurze Geschichte von fast allem)

amazon http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3442310024/mytimezeitbalan
libri http://partners.webmasterplan.com/click.asp?ref=43230&site=2701&type=text&tnb=8&pid=3442310024
___________________________________________________________

» Vergangenheit erschaffen

'Nun sind Gehirne in gewissem Sinne "Zeitmaschinen". Sie lassen
uns, wie der große französische Romancier des 19. Jahrhunderts
Marcel Proust gezeigt hat, uns in die Vergangenheit konkret
zurückversetzen. Dies ist für Traumaforschung und Traumatherapie
von enormer Bedeutung.

Es geht um konkrete Kontexte, die erlebt werden können, so wie
dies Proust als assoziatives Erleben der Vergangenheit in seinem
Roman "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" den Protagonisten
anhand eines Kuchenstückes, genannt "Madeleine", aufgelöst in
süßem Tee, erleben lässt. Dies führt den Zeitphilosophen Henri
Bergson zu dem Gedanken der dureé, der Vorstellung, "die Vergan-
genheit ist nicht vergangen"!, dem von dem Berliner Philosophen
Michael Theunissen so genannten "Hereinragen der Vergangenheit
in die Gegenwart".

Die Weise, wie menschliche Gehirne diese Konstitution von Vergegen-
wärtigen von Vergangenheit ermöglichen, gehört zu den spannendsten
Forschungsthemen der kognitiven Neurobiologie und beinhaltet, dass
Erinnerung nicht durch das "Abspielen von Festplatten" erfolgt, sondern
durch ein konstruktives "Wiedererschaffen der Vergangenheit" im Sinne
von Kontextualisierungen geschieht.

Hier geht es letztlich um die Art und Weise, wie neuronale Systeme in
der Lage sind, Kontexte zu erzeugen, d. h. "Situationen mit Gefühls-
lagen", Situationen mit Bedeutungsgehalt. '

Prof. Dr. Dr. Hinderk M. Emrich; mehr dazu:
http://www.lptw.de/vortraege2001/h-m_emrich.html
____________________________________________________________

» Aristotelische Muße

'Muße heißt bei Aristoteles scholé, ein Wort, aus dem später das Wort
Schule entstand (...). Für Aristoteles ist die Muße von außerordentlicher
Bedeutung. In der "Nikomachischen Ethik" heißt es: "Und die Glück-
seligkeit (eudaimonia) scheint in der Muße zu bestehen."

Die Muße grenzt Aristoteles sorgfältig von der bloßen Erholung ab.
Diese ist eine Zeit der Rekreation von mühsamer Arbeit und gehört wie
auch die Arbeit selbst zum Bereich der Mußelosigkeit, der ascholia.
Die Muße ist kein Mittel zu einem bestimmten Zweck - wie eben die
Erholung - sie scheint vielmehr "Lust, wahres Glück und seliges Leben
in sich selbst zu tragen." Deshalb steht sie auch der Glückseligkeit nahe,
die Aristoteles als eine "der vollendeten Tugend gemäße Tätigkeit der
Seele" definiert.

Die Seele gliedert sich für Aristoteles in einen vernünftigen und einen
unvernünftigen Teil. Nur der vernünftige Teil unterscheidet den Menschen
vom vegetativen oder animalischen Dasein, denn der Mensch ist das
zoon logon echon, das vernunftbegabte Tier, wie Aristoteles sagt. Der
vernünftige Seelenteil zerfällt in zwei weitere Vermögen: "das eine hat
eigentlich Vernunft und hat sie in sich selbst, das andere hat sie wie ein
Kind, das auf seinen Vater hört."

Diesen beiden Vernunftbereichen der menschlichen Seele entsprechen
verschiedene Tugenden, dem ersteren die Verstandestugenden (Weisheit,
Verstand, Klugheit), dem letzteren die sittlichen Tugenden (Freigebigkeit,
Mäßigkeit). Diejenigen Aktivitäten der Seele, die sich nach den ethischen
Tugenden richten, wie z. B. die politische Praxis oder die Kriegsführung,
entbehren der Muße. Denn niemand würde das Töten und Blutvergießen
um seiner selbst willen ausüben, und das politische Handeln geschieht
aus persönlichen Machtinteressen, nicht allein um des Staates willen.

Die Muße dagegen ist eine selbstgenügsame Tätigkeit, die nicht um
äußerer Zwecke willen geschieht. Ihr kann also nur die reine Vernunft-
tätigkeit gemäß der Verstandestugenden entsprechen, "da sie keinen
anderen Zweck hat, als sich selbst, auch eine eigentümliche Lust und
Seligkeit in sich schließt, die die Tätigkeit steuert".

Muße also ist für Aristoteles ein lustvolles Denken, ein seliges In-sich-
selbst-Ruhen, das sich nicht am Maßstab der Zweckdienlichkeit messen
lässt. Die Kunst der Muße identifiziert Aristoteles mit der Kunst des
Denkens, der Müßiggänger ist ein Philosoph. Ein Leben in Muße, das
zu Aristoteles' Zeiten nur wenigen Aristokraten vergönnt war, ist ein
wahrhaft menschliches Leben, denn der Mensch kann sich auf seine
menschlichste Eigenschaft, die Vernunft (logos) besinnen. Ziel und
Wesen des Daseins liegt für Aristoteles folglich im bios theoretikos,
dem geistigen Leben.'

(Dr. Andreas Schinkel)
____________________________________________________________

» Vergänglichkeit

"Traurigkeit gehört zum Leben. Wir lieben das Leben trotz seiner
Traurigkeit, vielleicht gerade wegen ihr. Vergil sagt: Sunt lacrimae
rerum, et mentem mortalia tangunt. Tränen sind in allen Dingen,
und alle vergänglichen Dinge berühren unser Herz.

Was wir am Leben lieben, sind Dinge, die vergehen. Dieses
Gefühl für die Vergänglichkeit - so schmerzvoll und traurig -, für
alles Wunderbare und dennoch Vergängliche, macht unser Leben
lebenswert."

Anthony Burgess
____________________________________________________________

» Zeit-Gedicht

Zeitenscholle

Ach - meine Zeitgenossen ...
haltet ein.
Ich spüre wohl das Ende meiner Frist
und weiß daß meine Zeitenscholle
ganz einfach abgedriftet ist.

Doch - meine Zeitgenossen
sah' ich euch
als ihr noch ferne wart - vom Jetzt
und sah' euch kommen - sah' euch gehen
und spürte Zweifel - und Verstehn ...

Ach - meine Zeitgenossen
wagt es doch
auf meiner Zeitenscholle mit zu reisen
ein jedes kleine Zeitenloch
wird euch das eine nur beweisen:

Die Wirklichkeit von Zeit und Raum
... ist nur ein wundersamer Traum

(Tumre; mit herzlichem Dank)
____________________________________________________________

» Dichter zur Zeit

'Dies ist, glaube ich, die Fundamentalregel allen Seins: „Das Leben
ist gar nicht so. Es ist ganz anders.'

(Kurt Tucholsky)
____________________________________________________________

» my_time

Nächstes offenes Zeitbalance-Seminare: 28.-29.Oktober 2004
im Luisenhof Visselhövede, http:/www.seminarhotel-luisenhof.de
Inhouse Seminare Zeit, Kommunikation, Train the Trainer / Seminare
auf traditionellen Großsegler: fragen Sie uns! <mailto:info@zeitbalance.de>
--
Wir danken allen, die uns gemailt und geschrieben haben. Leiten Sie
diesen Zeitbrief gern an Freunde und Kollegen weiter.
Zeitbrief abonnieren / abbestellen / Archiv: http://www.zeitbrief.de
Anregungen, Kritik, Surf-Tips bitte an: <mailto:info@zeitbalance.de>
--
my_time / Wilhelminenstr. 21 / 24103 Kiel
Tel. 0431 - 55 78 536 / Fax 0431 - 51 99 891
Alle Angaben ohne Gewähr. Jegliche Verwendung über den privaten
Gebrauch hinaus bitte nur mit Genehmigung von my_time.
© my_time 2004